Predigt am 14. Jän. 2024 zum Hebräerbrief 12, 12-25

LESUNG: Johannes 16, 30-33

29 Sprechen zu ihm (Jesus) seine Jünger: Siehe, nun redest du frei heraus und nicht in einem Bild. 30 Nun wissen wir, dass du alle Dinge weißt und bedarfst dessen nicht, dass dich jemand fragt. Darum glauben wir, dass du von Gott ausgegangen bist. 31 Jesus antwortete ihnen: Jetzt glaubt ihr? 32 Siehe, es kommt die Stunde und ist schon gekommen, dass ihr zerstreut werdet, ein jeder in das Seine, und mich allein lasst. Aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir. 33 Dies habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

PREDIGTTEXT Hebr 12, 12-25

12 Darum stärkt eure müden Hände und eure zitternden Knie

13 und lenkt eure Schritte entschlossen in die richtige Richtung! Denn die lahm gewordenen Glieder dürfen sich nicht auch noch ausrenken, sondern sollen wieder heil werden.

14 Bemüht euch mit ganzer Kraft um Frieden mit jedermann und richtet euch in allem nach Gottes Willen aus! Denn ohne ein geheiligtes Leben wird niemand den Herrn sehen.

15 Achtet darauf, dass niemand sich selbst von Gottes Gnade ausschließt! Lasst nicht zu, dass aus einer bitteren Wurzel eine Giftpflanze hervorwächst, die Unheil anrichtet; sonst wird am Ende noch die ganze Gemeinde in Mitleidenschaft gezogen. 16Achtet auch darauf, dass niemand ein unmoralisches Leben führt oder mit heiligen Dingen so geringschätzig umgeht wie Esau, der sein Erstgeburtsrecht für eine einzige Mahlzeit verkaufte. 17Ihr wisst, wie es ihm später erging: Als er den Segen bekommen wollte, der ihm als dem Erstgeborenen zustand, musste er erfahren, dass Gott ihn verworfen hatte. Er fand keine Möglichkeit mehr, ⸂das Geschehene⸃ rückgängig zu machen, so sehr er sich auch unter Tränen darum bemühte.

18 Nun habt ihr Gott ja auf ganz andere Weise kennen gelernt als die Israeliten damals am Sinai. Der Berg, zu dem sie kamen, war ein irdischer Berg. Er stand in Flammen und war in dunkle Wolken gehüllt. Es herrschte Finsternis, ein Sturm tobte, 19Posaunenschall ertönte, und eine Stimme sprach zu ihnen, ⸂vor der sie sich so fürchteten, dass⸃ sie inständig baten, kein weiteres Wort mehr hören zu müssen. 20Denn schon zuvor, als es hieß, alle müssten gesteinigt werden, die dem Berg zu nahe kämen – gleich, ob Menschen oder Tiere –, hatten Angst und Schrecken sie befallen. 21Das ganze Geschehen, das sich vor ihren Augen abspielte, war so Furcht erregend, dass selbst Mose bekannte, er zittere vor Angst.

22 Ihr hingegen seid zum Berg Zion gekommen, zur Stadt des lebendigen Gottes, zu dem Jerusalem, das im Himmel ist. Ihr seid zu der festlichen Versammlung einer unzählbar großen Schar von Engeln gekommen

23 und zu der Gemeinde von Gottes Erstgeborenen, deren Namen im Himmel aufgeschrieben sind. Ihr seid zu Gott selbst gekommen, dem Richter, vor dem sich alle verantworten müssen, und zu den Gerechten, die bereits vollendet sind und deren Geist bei Gott ist.

24 Und ihr seid zu dem Vermittler des neuen Bundes gekommen, zu Jesus, und seid mit seinem Blut besprengt worden – mit dem Blut, das noch viel nachdrücklicher redet als das Blut Abels.

25 Hütet euch also davor, den abzuweisen, der zu euch spricht!

 

PREDIGT

Liebe Gemeinde,

der unbekannte Schreiber des Hebräerbriefes spricht aber schon in rätselhaften Worten! Mit großer Wahrscheinlichkeit ist der Hebräerbrief kein Brief, sondern eine Predigt an eine ermüdete christliche Gemeinschaft, die weder am Leben noch am Glauben wirklich Freude hatte. Als 2. Generation nach Christus hatten sie die atemberaubenden Ereignisse mit dem Wanderprediger Jesus selbst nicht erlebt, der Druck von außen war sicher groß genug und Christsein ziemlich gefährlich. Mit starken Bildern und starken Worten will der Verfasser des Textes die Müden und Erschrockenen trösten und ermutigen. Vielleicht sind die Leser des Textes gar nicht mehr so sicher, dass die Nachfolge Jesu lebensnotwendig ist und eher überlegen sie, ob aus Sicherheitsgründen das Zurückkehren in das Judentum nicht sinnvoller wäre. Darauf ermahnt der Autor, die Stadt des lebendigen Gottes nicht aus Angst oder Müdigkeit zu verlassen.

Der unbekannte Verfasser baut einen gewaltigen Druck auf und redet scheinbar selbst aus der Angst – den Zugang zum Leben zu verlieren - heraus. „Hütet euch…“, „werdet nicht so, wie Esau…“, „er fand keine Möglichkeit mehr..“ diese alle sind Worte der Angst. Worte, die enthüllen das, was hinter der Müdigkeit und den zitternden Knien in der Tat verbirgt. Worte, die das Eigentliche, das, was hinter dem Vorhang geschieht, zum Vorschein bringen. Worte, die die Gefühle der müden und unmotivierten Menschen spiegeln und dadurch sichtbar machen – so sind die Worte des Verfassers.

Was sind eure Gefühle, mit denen ihr heute hierhergekommen seid? Wenn ihr die Augen schließt und nichts mehr denkt, was fühlt ihr? Wenn ihr jetzt die Augen schließt, welches Gefühl dominiert in eurem Körper, was ist euer Bauchgefühl?

Könnt ihr das spüren? Oder vielleicht braucht man dafür viel tägliche Übung, um das überhaupt wahrnehmen zu können.

Wenn ich den Hebräerbrief mit seiner tieferen Intention zu trösten und den starken, oft erschreckenden Bildern lese, erlebe ich ihn als die Unterstützung und Anleitung das eigene Grundgefühl des Lebens zu entdecken. Vielleicht ist das eine der wichtigsten Aufgaben für ein gelungenes Miteinander in Beziehungen, in den Familien, in den Pfarrgemeinden, in Freundeskreisen, unter den Völkern und auf der ganzen Welt.

Vielleicht können wir unsere Gefühle anhand des Textes besser nachvollziehen und fragen: Welche Bilder des Hebräerbriefes bewegen mich innerlich?  Welche Gefühle will ich spüren und welche spüre ich in der Tat?

Den Worten der Angst setzt der Verfasser des Textes die Worte über die Stadt Gottes gegenüber. Er erzählt von dem Raum des lebendigen Gottes, in dem Menschen von seiner Liebe, wie von einem Magneten angezogen werden könnten so, dass sie in der Liebe angekommen sind.

Was soll ich tun, damit dieser starke Magnet – die Liebe Gottes – mir das innere Zuhause gibt, mich in dem Raum der Gnade hält? Und: Was ist die bittere Wurzel, von der der Autor des Textes warnt, weil sie nicht nur das eigene Leben, sondern auch das Leben der Gemeinschaft in Mitleidenschaft führen kann. Aus welcher Wurzel wachsen die Kriege auf dieser Welt?

Stellt euch vor: Was würde passieren, wenn die Kriegsführer dieser Welt vor jedem strategischen Schritt die Augen schließen würden, innehalten und sich fragen würden – aus welchem Gefühl heraus handle ich? Was würde passieren, wenn jeder, der die Verantwortung trägt, vor jeder Entscheidung die Augen schließen und sich fragen würde: „Aus welchem Grundgefühl wachsen mein Tun und meine Worte?“

Viele werden das nicht tun. Es ist kein besonders attraktiver Job, weil oft finden wir in uns das Gefühl, das wir überhaupt nicht mögen - die Angst. Nicht deshalb, weil wir besonders ängstliche Menschen wären, auch nicht deshalb, weil wir nicht in Ordnung wären oder besondere Probleme hätten. Nein, einfach, weil wir in der Welt leben. Jesus sagt: In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden!“

Vielleicht ist das der Grund, warum der Verfasser des Briefes uns die Bilder der Angst vor Augen hält: Wer sein Menschsein mit allen Gefühlen, auch mit der Angst, erkennt und spürt, der ist von der Liebe Gottes magnetisch angezogen und bleibt im Raum der Gnade.

Ich glaube nicht, dass die Angst selbst die bittere Wurzel wäre, sondern das Leugnen der eigenen Menschlichkeit mit ihren Ängsten, Schwächen, Bedürftigkeit und Verletzlichkeit ist die bittere Wurzel, die zu Kampf und Krieg führt.

„Bemüht euch mit ganzer Kraft um Frieden mit jedermann“ schreibt der Verfasser. Erkennt und spürt in euch die Ängste, die ihr in der Welt habt, dann wird die Liebe Gottes euch wie ein Magnet zusammenhalten, an sich binden und den Frieden in dieser Welt möglich machen. Durch ihn. Durch die lebensnotwendige Bindung zu Gott führt das Menschsein nicht zum Krieg, sondern zum Frieden mit jedermann.

Wer sein Menschsein spürt, der ist im Raum der Liebe mit anderen Gleichgesinnten unterwegs, im Raum, in dem Fülle von Gnade, Barmherzigkeit und Liebe die weiterhin bestehende, spürbare, erkennbare Angst des Menschseins überwindet. Die Aufgabe der Menschen bleibt diese Angst zu spüren und zu halten.

Das ist der Weg zum Frieden ohne Illusionen und Selbstüberschätzung. Das ist der Weg zum Frieden ohne Überforderung und Selbstoptimierung. Die Augen zu schließen und den Impuls des Menschseins wahrzunehmen, die Angst zu spüren und zu halten und den Weg mit anderen, die ihre eigenen Ängste spüren und halten, gemeinsam zu gehen – das ist die gelebte Liebe Gottes unter uns. Das verändert unser Verhalten in dieser Welt.

Vielleicht klingt auch das genauso rätselhaft, wie der heutige Predigttext, wenn wir das nur mit unserem Verstand verstehen wollen. Wenn wir das aber leben, wenn wir das Leben -mit dem in Jesus zu uns gekommenen Gott - üben, die Augen schließen lernen, still sein lernen und unser wirkliches Menschsein spüren lernen, dann erleben wir das, woran wir glauben und worauf wir hoffen. Amen.

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