Predigt vom 2. März 2025, Groß Siegharts

in Anlehnung an die Predigt einer netten Kollegin über Lk 10, 38-42

Lukasevangelium, Kapitel 10, 38-42

Martha knetet den Brotteig, Maria hört Jesus zu

38 Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. 39 Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. 40 Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihnen zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! 41 Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. 42 Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.

 Gott, wir stehen vor deinem Wort, segne unsere Gedanken. Amen.

Ich biege ein in diese kleine Gasse. Bethanien schläft in der Mittagshitze. Nur aus diesem Haus dringt Lärm. Geschirr klappert. Eine Frau flucht leise. Eine Tür knallt. Das Fenster steht offen. Der Duft von frischem Brot. Zwiebeln in heißem Öl. Eine Frau steht in der Küche. Als wäre das normal. Ihr Gesicht glänzt. Die Haare kleben im Nacken.

Sie knetet Teig mit wütenden Händen. Als würde sie nicht den Teig schlagen, sondern jemand anderen. Und dann der Hauptraum. Männer sitzen im Kreis. In ihrer Mitte der Wanderprediger. Jesus. Und direkt neben ihm - eine Frau. Sie sitzt da zwischen all den Männern. Als wäre das normal. Die Küchentür fliegt auf. Die Frau mit dem Teig an den Händen steht da. Mehlig. Verschwitzt. Außer sich. Ihre Gestik spricht Bände: Die ausgestreckten Arme. Der anklagende Finger. Das Kopfschütteln. Der Rabbi lächelt nur. Sagt etwas. Ganz ruhig. Die Teigfrau erstarrt. Als hätte er sie geohrfeigt. Dreht sich um. Geht. Die Tür knallt wieder. Das Geschirr klappert weiter. Der Teig wird weiter geschlagen.

Die andere Frau sitzt immer noch da. Ungerührt. Als gäbe es keinen besseren Platz auf der Welt. Zwei Frauen. Schwestern. Maria und Martha. Martha öffnet ihr Haus. Das ist ungewöhnlich: Eine Frau, die ihr Haus für Männer öffnet. Martha – die Grenzverletzerin. Die sich über Konventionen hinwegsetzt und tut, was Frauen nicht tun. Martha – die mutige Gastgeberin, die Regeln bricht, weil sie spürt: Hier ist einer, der wichtiger ist als alle Regeln. Und dann Maria, ihre Schwester. Die auch Regeln bricht und sich zu Jesu Füßen setzt. Wie ein Schüler. Wie ein Mann. Undenkbar. Dann steht Martha in der Tür. Mehlig. Verschwitzt. Außer sich. Sie, die selbst alle Regeln gebrochen hat, um Jesus einzuladen, kann nicht ertragen, dass ihre Schwester auch Regeln bricht.

Seltsam: Die Regellose fordert Regeln. Die Mutige erschrickt vor dem Mut der anderen. "Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen?" Martha versteht nicht: Ihre eigene Revolution hat eine noch größere Revolution geboren. Ihr eigener Regelbruch hat einen noch tieferen Regelbruch ermöglicht. Sie hat die Tür geöffnet – und ihre Schwester ist hindurchgegangen. Weiter als sie selbst zu gehen wagte. Martha sieht nur die leere Küche. Und schreit nach Gerechtigkeit. Eine Gerechtigkeit der alten Ordnung. Wo jeder seinen Platz hat. Wo jeder bleibt, wo er ist und niemand einfach aufsteht und sich woanders hinsetzt. "Martha, Martha", sagt Jesus. Zweimal, wie ein Echo. Als würde er sagen: „Ich sehe deinen Mut. Ich sehe deine offene Tür. Aber siehst du nicht? Maria geht nur den Weg zu Ende, den du selbst begonnen hast."

Manchmal erschrecken wir vor der Freiheit, die wir selbst ermöglicht haben. Revolutionen sind wie Kinder: Sie wachsen dir über den Kopf. Werden anders als geplant. Freier als gedacht. Fremder als erhofft. Manchmal ist der schwerste Teil gar nicht das Öffnen, sondern das Offenlassen. Nicht die Revolution, sondern ihre Kinder. Die Jungen nehmen deine Werte und machen was Eigenes draus. Die Nachfolger nehmen deine Firma und denken sie neu. Die Kinder nehmen deine Freiheit und leben sie anders. Martha steht in der Tür zwischen alten Regeln und neuer Freiheit. Jesus sieht sie dort stehen. Und er weiß: Manchmal ist es leichter, selbst Grenzen zu durchbrechen, als anderen ihre Grenzdurchbrüche zu erlauben. Jesus sieht sie beide. Die Pionierin und ihre Nachfolgerin. Die Schultern und die, die darauf steht. "Martha, Martha", sagt er. Zweimal, wie eine Erinnerung: „Dein Mut hat das hier möglich gemacht. Dein erster Schritt war der Anfang dieses Weges. Sei stolz, nicht wütend. Sei Verbündete, nicht Gegnerin."

Jede Freiheit braucht Schultern. Jeder Fortschritt braucht Stufen. Jede Maria braucht eine Martha. Die vorangeht. Die Türen öffnet. Die den ersten Schritt tut. Und jede Martha braucht eine Maria. Die hindurchgeht. Die neue Türen findet. Die den nächsten Schritt wagt. Eine schwere Lektion für Pioniere: Zu sehen, wie andere durch deine offenen Türen gehen. Anders als du. Weiter als du. Freier als du. Eine Weisheit aller Führung: Dass du loslassen musst, was du erkämpft hast. Dass du freigeben musst, was du geöffnet hast. Durch den Türrahmen sehe ich sie plötzlich wie durch ein Zeitfenster - zwei Generationen von Frauen. Die ersten Frauen in Führung – hart wie Diamanten, scharf wie Schwerter, gepanzert bis unters Kostüm. Mussten Männer sein, um als Frau durchzukommen. Lauter als die Lauten. Härter als die Harten. Die zweite Generation – kommt in Jeans, spricht von Work-Life-Balance, arbeitet Teilzeit, duzt alle, weint auch mal im Meeting, und niemand stirbt daran. Die erste Generation – musste beweisen, dass sie alles kann. Besser als jeder Mann. Perfekte Chefin. Perfekte Mutter. Perfekte Hausfrau. Perfekt erschöpft. 

Die zweite Generation – redet von Selbstfürsorge. Von Teamführung. Von Authentizität. Macht Coaching-Ausbildungen und Achtsamkeits-Workshops. Spricht von Gefühlen. Von Grenzen. Von Bedürfnissen. Und manchmal, wenn die Erste die Zweite sieht, will sie schreien: Du hast ja keine Ahnung! Wie viele Türen wir eintreten mussten! Wie viele Kämpfe wir gekämpft haben! Wie hart haben wir gearbeitet! Wie viel Blut und Schweiß und Tränen es kostete! Damit du heute einfach durchgehen kannst. Als wäre es nichts. Und manchmal, wenn die Zweite die Erste sieht, will sie flüstern: Es muss nicht mehr so sein. Du musst nicht mehr so hart sein. Die Rüstung darfst du ablegen. Die Mauern sind gefallen. Komm, tanz mit uns durch die offenen Türen. 

"Martha, Martha", sagt Jesus. Zweimal. Wie zwei Generationen. Wie zwei Arten, frei zu sein. Jede Generation muss ihre eigene Freiheit finden. Die Zweiten müssen anders sein als die Ersten. Damit die Freiheit nicht erneut versteinert. Manche von uns tragen noch die Rüstung der ersten Stunde. Andere tanzen schon barfuß durch die offenen Räume. "Martha, Martha" - Jesu Echo hallt durch die Jahrhunderte - „Freiheit beginnt doch erst dort, wo du anderen erlaubst, sie anders zu leben als du selbst."

Heute in Heidenreichstein feiern wir einen Party-Gottesdienst. Für Jugendliche, für all die Menschen, die mit der üblichen Gottesdienstform nichts anfangen können. Vielleicht gar nicht deshalb, weil sie nicht glauben, sondern deshalb, weil die Tür, die durch Reformation und Theologie des 20 Jahrhunderts geöffnet wurde, hat die Menschen und ihren Glaubensleben sehr stark verändert. Erschreckt das manchmal uns selbst. Und wir ärgern uns, wie die Martha. Doch ine Kirche die feiert spricht an. Feiert auch in Zeiten, die Angst machen und Sorgen bereiten. Und vielleicht genau das ist die wichtige nächste Stufe im Glauben. Feiern! Und egal – mit alten uns tief berührenden Liedern oder im Disco- Rhythmus. Das Wichtigste ist: Voller Vertrauen auf den Gott, der uns durch Türen und Toren, durch Chaos und Unsicherheit mit seiner lebensbejahenden Freude und Weisheit begleitet. Das macht uns innerlich weich und gibt Vertrauen. Amen. 

Weiter
Weiter

Unsere fleissigen Gartenhelferinnen und Helfer