PREDIGT Pfingsten 2024 (19. Mai)

Predigttext: Hesekiel 37, 1-14 (Buber-Rosenzweig Übersetzung 1929)

1 Über mir war SEINE Hand, im Geistbraus entführte mich ER, ließ mich nieder inmitten der Ebne, die war voller Gebeine. 2 Er trieb mich rings, rings an ihnen vorbei, da, ihrer waren sehr viele hin über die Fläche der Ebne, und da, sehr verdorrt waren sie. 3 Er aber sprach zu mir: Menschensohn, werden diese Gebeine leben? Ich sprach: Mein Herr, DU, du selber weißt. 4 Er aber sprach zu mir: Künde über diese Gebeine, sprich zu ihnen: Ihr verdorrten Gebeine, höret SEINE Rede! 5 so hat mein Herr, ER, gesprochen zu diesen Gebeinen: Da, Geistbraus lasse ich kommen in euch, und ihr lebt. 6 Ich gebe über euch Sehnen, ich lasse Fleisch euch überziehn, ich überspanne euch mit Haut, Geistbraus gebe ich in euch, und ihr lebt und erkennt, daß ICH es bin.
7 Ich kündete, wie mir war geboten. Als ich gekündet hatte, geschah ein Rauschen, und da, ein Schüttern, die Gebeine rückten zusammen, Gebein zu seinem Gebein. 8 Ich sah, da waren über ihnen Sehnen, Fleisch überzog sie, Haut überspannte sie obendrauf, doch kein Geistbraus war in ihnen. 9 Er aber sprach zu mir: Künde auf den Geistbraus zu, künde, Menschensohn, sprich zum Geistbraus: So hat mein Herr, ER, gesprochen: Von den vier Brausewinden, Geistbraus, komm, wehe diese Erwürgten an, daß sie leben! 10 Ich kündete, wie er mir geboten hatte. Der Geistbraus kam in sie ein, sie lebten.

Heiliger Geist als Taube über dramatischer Wolkenstimmung

Liebe Gemeinde,

ein Text, der ursprünglich nicht für uns geschrieben wurde. Ein Text, der aus der hebräischen Bibel stammt, geschrieben für eine Gemeinschaft, die sich in einer dramatischen Lage befindet. Die Bibel schildert viele Krisensituationen des Volkes Gottes. Diese Schilderung ist beeindruckend durch die düsteren Bilder, die einerseits überhaupt nicht zu dem heutigen Geburtstag der Kirche passen.

Doch die Realität ist, dass die Kirche und teilweise auch die Gesellschaft sich heutzutage in einer Krisensituation befindet und viele Lebensbereiche werden als krisenhaft erlebt. Die letzten Jahre sind überschüttet von Kriegen und beängstigenden Ereignissen. Für einige Menschen kommen noch persönliche Krisen dazu, die sich für manche, wie ein Feld voller Gebeine ohne Leben anfühlt. 

Aus der Bibel und aus eigener Erfahrung wissen wir, dass Lebensabschnitte in denen es Schwierigkeiten gibt, zum menschlichen Leben gehören. Und manchmal ist auch der eigene Geburtstag eher ernst.

Dann brauchen wir die Worte, die zwar der Realität nahe sind und doch uns eine Perspektive aus der Krise hinaus zeigen.

Der heutige Bibeltext erzählt von einer harten Krise. Und inmitten der Krise vom Geisthauch Gottes, der Menschen neu begeistert, tröstet und motiviert, Verantwortung zu übernehmen.

„Menschensohn, werden diese Gebeine leben?“ – Fragt Gott den Menschen und ermutigt ihn sich einzumischen, aktiv zu werden, zu dem, was ohne Leben ist, zu sprechen. Wie überraschend ist diese Frage Gottes an den Menschen, der ja eigentlich in dieser Situation selbst verzweifelt ist. Doch Gott erkennt in dem Menschen, der mit ihm spricht, das Potenzial. Gottes Frage ist gleichzeitig eine Verheißung. Es ist eine Einladung mit Gott zusammen zu wirken, um seinem Trost, seiner Ermutigung, seiner Lebenskraft auch für andere Menschen die Tür zu öffnen.

Ja, auch in Zeiten der Krisen feiern wir den Geburtstag der Kirche. In Zeiten, in denen die Kirche für viele überflüssig scheint, weil viele Menschen glauben, den Geist Gottes von der Kirche entkoppeln zu können und ihn ohne Gott selbst für eigene Vorstellungen wirken zu lassen.

Ganz sicher ist der Geist Gottes größer als die Kirche. Die vielen Namen für den Geist alleine – ruah, spiritus, pneuma, nous, psyche, mens, die aktuell in vielfachen Bedeutungen benutzt werden, lassen schon alleine spüren, dass der „der Vogel“ ist, den wir nie einfangen werden.  Genau diese Einsicht macht aus meiner Sicht die Kirche in heutiger Gesellschaft attraktiv, sie hat viel Potenzial. Nicht wir fangen den Geist ein, sondern er uns.  Der Geist lebt in uns, weil wir durch ihn zur Kirche, zu denen, die dem Herrn gehören, geworden sind – das haben wir aus der Pfingstgeschichte, auch einer sehr erschütternden Erzählung, in der Lesung gehört.

Wir können nur träumen, wieviel Lebenskraft der Geist in sich trägt. Durch ihn sind wir fähig, Krisen zu bewältigen und Neuanfänge zu wagen.  Durch den Geist Gottes wird auch das lebendig, was tot erscheint, aber zum Leben bestimmt ist. Den Geist erleben wir sehr unterschiedlich.  Wir spüren ihn als Teamgeist in der Gemeinschaft. Den Geist spüren wir als Geistesblitze und Erkenntnisse, die uns in jeder Situation glauben und vertrauen helfen. Den Geist Gottes spüren wir in der Kommunikation, in der Fähigkeit andere zu verstehen trotz Unterschiede und Widersprüche. Den Geist Gottes spüren wir durch die Fähigkeit zu lieben und durch die Verbundenheit miteinander und mit Gott… trotz allem.

Der Geist ist der, der verbindet, tröstet und stärkt. Auch uns heute – kräftig wie Wind und Feuer kommt der Geist Gottes und belebt und …. und wir sehen und hören nichts. Er ist mehr als das, was wir sehen und hören können. Nicht wir fangen ihn ein, sondern er uns. Er ist weder laut, noch sichtbar. Seine Anwesenheit spüren wir oft nur als unsere eigene Antwort auf die für uns wichtigen Fragen. Was antworten wir auf die Frage Gottes: „Menschensohn (Menschenkind – würde ich lieber heute sagen), werden diese Gebeine leben?“, wenn wir die Krisen und Schmerzen dieser Welt sehen. Was antworten wir? 

  • Sind wir bereit mehr zu versprechen, als wir es eigentlich können und schreien wir laut: „Ja, natürlich, es wird alles gut sein, das wissen wir!“ und muten uns selbst mehr zu, als es möglich ist?

  • Oder sagen wir „Nein, sicher nicht, da lohnt es sich nicht darüber zu reden! Da halten wir lieber Abstand!“ und ziehen wir uns dadurch aus der Affäre, damit wir keine Verantwortung für etwas tragen müssen?

  • Oder sagen wir die Wahrheit, dass wir das selbst nicht wissen können, aber spüren in uns die Kraft des Geistes Gottes und trauen uns mit Gott auf Augenhöhe zu gehen und zu sagen: „Gott, Du selber weißt!“

Und dann - gegen alle Unsicherheiten - spricht Gottes Wort zu uns: „Da, Geistbraus lasse ich kommen in euch, und ihr lebt.“ … und wir leben. Amen.

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Nachschau: Das war die Lange Nacht der Kirchen ’24

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